Insektenprotein als Bio-Futtermittel: Ihr Wegweiser durch die komplexen EU-Vorschriften

Die Proteinlücke im Ökolandbau: Warum Insekten eine strategische Lösung darstellen

Die Europäische Union steht vor der strategischen Herausforderung, ihre Abhängigkeit von importierten Eiweißfuttermitteln wie Soja oder Fischmehl zu verringern und zugleich ihre ambitionierten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. In diesem Kontext rücken verarbeitete Proteine aus Nutzinsekten (PAP) als eine ressourceneffiziente und nachhaltige Alternative in den Fokus. Im Einklang mit den Zielen der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie der EU bieten Insekten eine vielversprechende Lösung, um ein widerstandsfähigeres und nachhaltigeres Lebensmittelsystem zu schaffen. Die Zucht von Insekten zeichnet sich durch eine hohe Futterverwertungseffizienz, einen geringeren Ausstoß von Treibhausgasen sowie einen reduzierten Wasser- und Flächenverbrauch aus.

Während Insektenprotein als konventionelles Futtermittel bereits an Bedeutung gewinnt, stellt sein Einsatz im streng regulierten ökologischen Landbau eine besondere rechtliche Herausforderung dar. Unternehmer, die diesen wachsenden Markt erschließen wollen, müssen nicht nur die generelle Zulassung für die Verfütterung sicherstellen, sondern auch die hohen Standards der Bio-Zertifizierung erfüllen. Die rechtliche Machbarkeit hängt dabei von der präzisen Navigation durch mehrere, eng ineinandergreifende EU-Verordnungen ab, die sowohl die Sicherheit als auch die ökologische Integrität des Endprodukts gewährleisten.

Zulassung von Insektenprotein: Die doppelte Hürde der EU-Gesetzgebung verstehen

Das regulatorische Umfeld für die Nutzung von Insektenprotein als Bio-Futtermittel ist durch ein strategisches Zusammenspiel von zwei fundamentalen rechtlichen Säulen geprägt: dem Sicherheitsrecht und dem Reinheitsrecht. Unternehmer, die Insektenprotein erfolgreich als Bio-Futtermittel vermarkten möchten, müssen beide Hürden überwinden. Die erste Hürde betrifft die allgemeine Sicherheit und Zulässigkeit als Futtermittel, die primär durch die TSE-Verordnung geregelt wird. Die zweite Hürde bezieht sich auf die Einhaltung der strengen Produktions- und Kennzeichnungsstandards des ökologischen Landbaus, wie sie in der EU-Öko-Verordnung definiert sind.

Für Futtermittelhersteller und Insektenzüchter ist das Verständnis beider Regelungsbereiche entscheidend. Während das Sicherheitsrecht die Frage beantwortet, ob und für welche Tiere Insektenprotein überhaupt verfüttert werden darf, definiert das Reinheitsrecht die Bedingungen, unter denen dieses Protein das begehrte EU-Bio-Siegel tragen darf. Die erfolgreiche Markteinführung erfordert somit eine lückenlose Compliance über die gesamte Produktionskette, von der Aufzucht der Insekten bis zur Kennzeichnung des fertigen Futtermittelsacks.

Grünes Licht durch die TSE-Verordnung: Für welche Tiere ist Insektenprotein erlaubt?

Die grundlegende Zulassung von verarbeitetem Insektenprotein als Futtermittel wird durch die Verordnung (EG) Nr. 999/2001, bekannt als TSE-Verordnung, geregelt. Diese Verordnung wurde ursprünglich erlassen, um die Verbreitung von transmissiblen spongiformen Enzephalopathien wie BSE (Rinderwahn) zu verhindern, und enthielt ein weitreichendes Verbot der Verfütterung von verarbeiteten tierischen Proteinen (PAP) an Nutztiere.

Eine entscheidende Wende brachte die Verordnung (EU) 2021/1372, die das generelle Verfütterungsverbot für verarbeitete tierische Proteine (PAP) gezielt für bestimmte Nichtwiederkäuer-Arten aufhob und damit eine eng definierte Ausnahme schuf. Auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde die Verwendung von PAP aus Nutzinsekten für bestimmte Tierarten wieder zugelassen. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist eine unabdingbare Sicherheitsvorschrift, die entscheidend für den Marktzugang und das nach der BSE-Krise erschütterte Verbrauchervertrauen ist.

Die aktuelle Rechtslage lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Zulässig für:
    • Geflügel
    • Schweine
    • Tiere in Aquakultur
  • Streng verboten für:
    • Wiederkäuer (z. B. Rinder, Schafe, Ziegen)

Der Grund für diese strikte Trennung liegt in der Minimierung jeglichen Risikos einer Krankheitsübertragung. Die Vorschriften sollen unter allen Umständen verhindern, dass Proteine an Tierarten verfüttert werden, die für TSEs empfänglich sind, und stellen damit die Basis für die Sicherheit der gesamten Futtermittelkette dar.

Der Bio-Standard: Wann ist Insektenfutter wirklich ökologisch?

Die bloße Zulassung eines Futtermittels unter der TSE-Verordnung bedeutet nicht automatisch, dass es auch den Kriterien für das Bio-Siegel genügt. Um als „ökologisch/biologisch“ zertifiziert und vermarktet werden zu dürfen, muss Insektenprotein zusätzlich die strengen Anforderungen der Verordnung (EU) 2018/848 (Öko-Verordnung) erfüllen.

Die zentrale Kernaussage der Öko-Verordnung ist unmissverständlich: Ein tierisches Erzeugnis kann nur dann als „ökologisch/biologisch“ gelten, wenn das Tier, von dem es stammt, selbst nach ökologischen Grundsätzen aufgezogen wurde. Für verarbeitetes Insektenprotein bedeutet dies konkret:

Die Nutzinsekten müssen mit Futtermitteln biologischen Ursprungs gefüttert werden (VO (EU) 2018/848, Anhang II, Teil II, Nummern 1.9.3.1 c und 1.9.4.2 c).

Diese Anforderung stellt sicher, dass die gesamte Wertschöpfungskette den Prinzipien des Ökolandbaus entspricht – von der Erzeugung des Substrats für die Insekten bis zum Endprodukt. Es ist wichtig zu beachten, dass es für die Fütterung von Junggeflügel und Ferkeln eine zeitlich befristete Ausnahmeregelung gibt: Der Einsatz von bis zu 5 % konventionellem Eiweißfutter ist nur noch bis Ende 2026 erlaubt. Diese Frist unterstreicht die Dringlichkeit für die Branche, vollständig auf ökologische Proteinquellen umzustellen.

Von der Zucht bis zur Kennzeichnung: Praktische Anforderungen für Unternehmer

Die Einhaltung der EU-Vorschriften ist keine rein theoretische Übung, sondern erfordert eine sorgfältige operative Umsetzung in der gesamten Produktionskette. Für Unternehmer bedeutet dies, dass jeder Schritt – von der Auswahl des Substrats für die Insektenzucht über die Einhaltung strenger Hygienestandards im Betrieb bis hin zur korrekten Etikettierung des Endprodukts – rechtskonform gestaltet sein muss. Die folgenden Punkte dienen als praktischer Handlungsleitfaden, um die wesentlichen betrieblichen Anforderungen zu erfüllen. Ein strategischer Compliance-Plan, der diese Aspekte berücksichtigt, ist die Grundlage für den erfolgreichen und rechtssicheren Markteintritt.

Das richtige Futter für die Insekten: Substrat-Vorgaben der Öko-Verordnung

Die Qualität und Herkunft des Futtersubstrats für die Insekten ist der entscheidende Faktor für die Bio-Zertifizierung. Die Verordnung (EU) 2018/848 schreibt vor, dass Tiere in der ökologischen Produktion mit ökologischem Futter ernährt werden müssen. Für Insekten, die zu Bio-Futtermittel verarbeitet werden sollen, gelten daher folgende spezifische Anforderungen an das Substrat:

  • Primärquelle: Das Substrat muss hauptsächlich aus biologischen Futtermitteln pflanzlichen Ursprungs bestehen.
  • Verbotene Materialien: Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 über tierische Nebenprodukte (TVO) und ihrer Durchführungsverordnung (EU) Nr. 142/2011 sind bestimmte Materialien strikt als Futtersubstrat für Nutztiere, einschließlich Insekten, verboten. Dazu gehören insbesondere:
    • Gülle und Mist
    • Küchen- und Speiseabfälle

Ein weiterer wichtiger rechtlicher Hinweis betrifft das Koppelprodukt der Insektenzucht, den sogenannten Frass (Insektenkot). Dieser wird gemäß der TVO als Material der Kategorie 2 eingestuft. Für Material dieser Kategorie gilt ein striktes Fütterungsverbot. Frass darf daher unter keinen Umständen in die Futtermittelkette zurückgeführt werden. Seine Verwendung ist auf die Herstellung von organischen Düngemitteln unter Einhaltung spezifischer Vorschriften beschränkt.

Betriebliche Hygiene und Zulassung: Die Basis für jedes Futtermittelunternehmen

Jeder Betrieb, der Insekten für die Futtermittelproduktion züchtet, gilt rechtlich als „Futtermittelunternehmer“ und unterliegt somit den umfassenden Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 183/2005 über Futtermittelhygiene. Diese Verordnung stellt sicher, dass die Sicherheit und Rückverfolgbarkeit in der gesamten Futtermittelkette gewährleistet ist.

Die wesentlichen Pflichten für Insektenzuchtbetriebe umfassen:

  1. Registrierung oder Zulassung: Jeder Futtermittelunternehmer muss seinen Betrieb vor Aufnahme der Tätigkeit bei der zuständigen Behörde melden (allgemeine Registrierung). Für bestimmte Tätigkeiten mit höherem Risiko kann eine zusätzliche, strengere Zulassung erforderlich sein. Diese Maßnahmen sichern die behördliche Überwachung.
  2. HACCP-System: Es muss ein schriftliches Verfahren zur Gefahrenanalyse und Kontrolle kritischer Punkte (Hazard Analysis and Critical Control Points) eingerichtet, durchgeführt und dokumentiert werden (gemäß Artikel 6 der VO (EG) Nr. 183/2005). Dieses System dient der systematischen Identifizierung und Steuerung potenzieller hygienischer Risiken im Produktionsprozess.
  3. Rückverfolgbarkeit: Es muss ein System etabliert werden, das die lückenlose Rückverfolgbarkeit sicherstellt. Dies bedeutet, dass sowohl die Herkunft aller verwendeten Substrate als auch der Verbleib der erzeugten Produkte (Insektenprotein, Frass etc.) jederzeit nachvollziehbar sein müssen.

Klare Kennzeichnung: Was auf dem Futtermittelsack stehen muss

Die korrekte Kennzeichnung ist der letzte, aber entscheidende Schritt, um die Rechtskonformität sicherzustellen und dem Endkunden transparente Informationen zu liefern. Als Fachanwalt ist es unsere Aufgabe, die Anforderungen aus den verschiedenen Rechtsakten – der TSE-Verordnung (EG) Nr. 999/2001, der Öko-Verordnung (EU) 2018/848 und der allgemeinen Futtermittel-Kennzeichnungsverordnung (EG) Nr. 767/2009 – zu einer klaren Handlungsanweisung zu synthetisieren.

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten obligatorischen Kennzeichnungselemente für verarbeitetes Insektenprotein zusammen, das als Bio-Futtermittel in Verkehr gebracht wird:

Kennzeichnungselement Rechtliche Anforderung
Produktbezeichnung Muss die Angabe „verarbeitetes tierisches Protein aus Nutzinsekten“ enthalten.
Verwendungsbeschränkung Zwingender Hinweis: „Darf nicht an Wiederkäuer verfüttert werden.“
Bio-Kennzeichnung Bei Konformität mit VO (EU) 2018/848: Das EU-Bio-Logo muss auf der Verpackung erscheinen.
Codenummer Die Codenummer der Kontrollstelle (z.B. AB-CDE-999), die den Hersteller zertifiziert hat, ist obligatorisch.
Zusammensetzung Alle Einzelfuttermittel müssen unter der Überschrift ‚Zusammensetzung‘ in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils aufgelistet werden.

Rechtliche Fallstricke vermeiden: Ihr nächster Schritt zur Compliance

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einsatz von verarbeitetem Insektenprotein im ökologischen Landbau rechtlich möglich und eine strategisch wertvolle Option ist. Der Erfolg hängt jedoch von einer sorgfältigen und lückenlosen Einhaltung der strengen, mehrstufigen EU-Vorgaben ab. Es ist zwingend erforderlich, die Anforderungen aus dem Sicherheitsrecht (TSE-Verordnung), das die Verfütterung an bestimmte Tierarten regelt, und dem Reinheitsrecht (Öko-Verordnung), das die ökologische Herkunft und Verarbeitung definiert, in der betrieblichen Praxis konsequent umzusetzen.

Für Unternehmer und B2B-Entscheider, die in diesen zukunftsträchtigen Markt eintreten wollen, ist eine frühzeitige und strategische Compliance-Planung unerlässlich. Wir empfehlen dringend, spezialisierte Rechtsberatung einzuholen, um einen Compliance-Audit der gesamten Prozesskette durchzuführen. Eine solche fachkundige Prüfung muss die Verifizierung von Substrat-Lieferantenverträgen, die Sicherstellung der korrekten Betriebszulassung nach Futtermittelhygienerecht, die Auditierung der HACCP-Dokumentation sowie die Freigabe finaler Etikettendesigns umfassen. Dies minimiert Risiken, vermeidet kostspielige Fehler sowie Sanktionen und sichert Ihren Markterfolg.

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