Tabakwerbung im Netz – Drei überraschende Wahrheiten aus einem BGH-Urteil, die Sie kennen sollten
Einleitung: Der Haken an der Sache
Für die meisten Unternehmen fühlt sich die eigene Website wie das eigene Territorium an – ein digitaler Raum, in dem man die Regeln selbst bestimmt. Man könnte annehmen, dass man hier, anders als bei bezahlten Anzeigen, die eigenen Produkte so präsentieren kann, wie man es für richtig hält. Doch diese Annahme ist, zumindest in der Tabakbranche, ein Trugschluss.
Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) (Az. I ZR I 117/16) hat die Spielregeln für die Online-Darstellung von Tabakprodukten grundlegend neu definiert. Was als harmlose Eigendarstellung auf einer Firmen-Homepage begann, endete in einer letztinstanzlichen Entscheidung, die die Urteile der Vorinstanzen – des Landgerichts Landshut und des Oberlandesgerichts München – bestätigte und weitreichende Konsequenzen hat. Wir enthüllen die drei überraschendsten Erkenntnisse aus diesem Urteil, die jeder kennen sollte, der sich im digitalen Marketing bewegt.
Takeaway 1: Selbst „Lifestyle“-Bilder sind verbotene Werbung
Der konkrete Fall: Die Verbraucherzentrale Bundesverband mahnte einen mittelständischen Tabakhersteller aus Niederbayern ab, weil er auf seiner Startseite Personen in „lässiger Pose mit Tabakerzeugnissen“ zeigte. Auf den ersten Blick mag das nicht wie eine direkte Kaufaufforderung wirken. Es gibt keinen „Jetzt kaufen“-Button, keinen Preis, kein Sonderangebot. Doch genau hier liegt der Kern der Entscheidung.
Viele Hersteller nutzten bisher solche atmosphärischen Bilder, um eine Lücke im strengen Werbeverbot zu finden. Die Idee war, ein Lebensgefühl zu verkaufen, anstatt explizit ein Produkt zu bewerben. Der BGH hat dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben. Die Richter stellten klar: Sobald eine Darstellung einen eindeutig werbenden Charakter und einen konkreten Produktbezug hat, fällt sie unter das Verbot. Es spielt keine Rolle, ob die Werbung subtil oder direkt ist. Allein die Tatsache, dass ein Produkt für den Besucher attraktiv dargestellt wird, reicht aus, um gegen das Gesetz zu verstoßen.
Takeaway 2: Eine kostenlose Website gilt rechtlich nicht immer als kostenlos
Das klingt paradox, ist aber der juristisch entscheidende Punkt des Urteils. Bisher war die Rechtslage unklar, da das Gesetz Werbung in „Diensten der Informationsgesellschaft“ verbietet. Lange ging man davon aus, dass dieser Begriff nur Dienste erfasst, die gegen Entgelt angeboten werden – also bezahlte Services. Eine frei zugängliche, rein informierende Hersteller-Website, für deren Nutzung niemand bezahlt, schien davon ausgenommen zu sein.
Der BGH kippte diese Auslegung vollständig. Die Richter wiesen darauf hin, dass die gesetzliche Definition besagt, dass ein solcher Dienst „in der Regel gegen Entgelt“ erbracht wird. Das kleine Wörtchen „in der Regel“ öffnet die Tür für Ausnahmen. Unter Berufung auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stellte der BGH klar, dass auch kostenlose Dienste erfasst sein können. Die Begründung ist einleuchtend:
Der Begriff soll nach Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2000/31/EG auch Dienste erfassen, die nicht von denjenigen vergütet werden, die sie empfangen, wie etwa Online-Informationsdienste oder kommerzielle Kommunikation. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – C-339/15 – Luc Vandenborght) folgt daraus, dass die Website eines Unternehmens, auf der für dessen Produkte oder Dienstleistungen geworben wird, einen Dienst der Informationsgesellschaft darstellt.
Hier weicht die juristische Definition also stark vom Alltagsverständnis ab. Diese weitreichende Einstufung ist der juristische Schlüssel, der es den Gerichten überhaupt erst ermöglicht, Inhalte wie die in Takeaway 1 beschriebenen Lifestyle-Bilder auf einer Hersteller-Website als verbotene Werbung zu werten.
Takeaway 3: Das strenge Verbot gilt auch für E-Zigaretten
Die Verschärfung des Werbeverbots ist keine reine Angelegenheit der traditionellen Tabakindustrie. Das Urteil hat ebenso direkte Auswirkungen auf den schnell wachsenden Markt der E-Zigaretten. Oft als modernere und weniger streng regulierte Alternative wahrgenommen, stellt das Gesetz sie in diesem Punkt klar gleich.
Der BGH hält fest, dass die Einschränkungen auch elektrische Zigaretten betreffen, die in § 19 Abs. 3, Abs. 1 TabakerzG ausdrücklich genannt werden. Damit ist klargestellt, dass auch Hersteller von Vapes, Liquids und ähnlichen Produkten ihre Online-Präsenz sorgfältig prüfen müssen. Lifestyle-Bilder und andere Formen subtiler Werbung sind auch hier tabu.
Fazit: Die unsichtbaren Grenzen der Online-Werbung
Dieses Urteil zeigt eine klare juristische Linie auf: Indem der BGH eine kostenlose Website als kommerziellen „Dienst“ definierte (Takeaway 2), schuf er die Grundlage, um subtile „Lifestyle“-Werbung zu verbieten (Takeaway 1) – und zwar nicht nur für klassischen Tabak, sondern ausdrücklich auch für E-Zigaretten (Takeaway 3). Die Absicht hinter einer Darstellung ist wichtiger als die Plattform, auf der sie erscheint.
Die Entscheidung schränkt die Werbemöglichkeiten erheblich ein und zwingt Unternehmen zu einer sehr viel zurückhaltenderen Online-Kommunikation. Es bleibt eine spannende Frage: Wo werden die Gerichte in einer Welt immer subtilerer Marketingstrategien als Nächstes die Grenze ziehen?



